Vortrag Mikroskopische Salonpräparate von Alfons Renz (2010)

Vortrag von Alfons Renz im Rahmen der Ausstellung „Tübinger Sammler und Sammlungen“ im Stadtmuseum 2010.

Etwas zu sammeln, was so winzig ist, dass man es gar nicht sieht? Und dazu ein Mikroskop benötigt, welches um ein Vielfaches teurer ist als das Objekt selbst?

Mit bloßem Auge sieht man allenfalls die Verpackung, einen Objektträger aus Glas, früher oft auch aus Elfenbein, Ebenholz oder Messing. Dessen Beschriftung und eine bei Salonpräparaten kunstvoll ornamentale Verzierung weckt Interesse am eigentlich Wichtigen, dem unter einem Deckglas verborgenen Präparat. Hier trennen sich die Welten: Da gibt es die Salonpräparate, mit großem Geschick hergestellt allein für die Augenbelustigung. Bei ihrer Betrachtung erschließt sich eine mikroskopische Weltreise durch Kuriositäten aller Länder und Forschungsgebiete, auf sauber hergestellten Objektträgern mit aufwendig bunten Etiketten und sauberen Lackringen. Zum Anderen die wissenschaftlichen Präparate, spartanisch beschriftet von oft fast unleserlicher Hand, jedoch Beleg für einmalige Beobachtungen, Neubeschreibung von Arten, Vorlage für Abbildungen in Publikationen oder wahrungspflichtige Belege für bedrohliche Erkrankungen.

Und was gibt es da zu sehen? Dünnschliffe von Meteoriten aus der Ferne des Weltalls, Mikrotomschnitte der Histologie des Körpers und winzige Krankheitserreger, die mehr Macht über uns Erdenbewohner haben, als alle Regierungen und Ideologien. Dazu die Kunstformen der Natur, grazile gläserne Skelette von Radiolarien und Kieselalgen, manche von geduldiger Hand zu ornamentalen Mustern gelegt, reine l’art pour l’art.

Hinter dem sichtbaren Objekt, dem winzigen mikroskopischen Präparat, steht ein langer Weg seiner kunstvollen Präparation: Bevor das Millionen Jahre alte Glasskelett einer Radiolarie eingebettet, oder als Muster gelegt werden kann, muss es aus der Tiefsee geborgen oder aus gesteinsbildenden Mergeln der Insel Barbados gewonnen werden.

HMS Challenger, Sept. 8th, 1875, Latitude 3° 48′ S., Longitude 152° 56′ W, 2600 fathoms steht auf einem Präparat eines englischen Herstellers und belegt, daß dieses Material aus der berühmten englischen Expedition zur Erforschung der Weltmeere stammt und aus 2600 Faden Tiefe im Meer östlich von Neuguinea hoch geholt wurde. Ernst Haeckel hat dieses Material bearbeitet und die filigranen Gehäuse in seinem Challenger-Report und in den „Kunstformen der Natur“ 1899 verewigt.

Proc. vermiformis; decapitatus auf dem Präparat eines histologischen Kurses verweist auf die Herkunft des Materials (Wurmfortsatz des Blinddarms) aus der Tübinger Justizvollzugsanstalt und dessen Schafott (heute im Ludwigsburger Justizmuseum). Über eine direkte Verbindungstür kamen die Organe ins benachbarte Anatomische Institut der Universität, um den Studenten als Lehrmaterial zu dienen. Dessen Direktor Martin Heidenhain (Prof. in Tübingen von 1899 bis 1949) steht für die höchste Kunst der Herstellung anatomisch-histologischer Präparate. Seine SUSA-Fixierung und AZAN-Färbung sind bis heute weltberühmt. Der Präparator Paul Graf soll davon über eine Million hergestellt haben (Rietschel, 1980). Jeder Student durfte Teine‘ Präparate mit nach Hause nehmen und so einen bleibenden Schatz bewahren. Präparate des Sommersemesters 1913, zusammen mit den Original-Zeichnungen eines stud. med. Wilhelm B., mit Glück über das Internet ersteigert, strahlen noch heute in den leuchtend rot-blauen Farben der AZAN-Färbung.

Eingebettet hat man damals im Harz kanadischer Nadelbäume, dem Kanadabalsam, einem Naturprodukt, das zu einer Art Bernstein erhärtet und wie dieser die Inklusien für ewige Zeiten bewahren soll. Leider haben die vielen Versuche, dieses Baumharz durch eine künstliche Substanz mit kontrollierten Eigenschaften zu ersetzen, immer wieder zu Fehlschlägen geführt: Abplatzende Deckgläser, Ausfällungen im Medium und Risse im Balsam sind der Albtraum des Sammlers und zerstören unwiderruflich kunstvolle hergestellte Präparate, oft schon nach wenigen Jahren oder Jahrzehnten.

Wer also schon über hundert Jahre alte Präparate in gutem Erhaltungszustand besitzt, kann beruhigt sein: Hier sind für absehbare Zeiten keine Überraschungen zu befürchten. Entsprechend gesucht sind solche Salonpräparate, die man am ehesten in England findet.

Mit dem mikroskopischen Präparat untrennbar verknüpft ist das Mikroskop. Erst durch dessen Linsen erschließt sich der Mikrokosmos unserem Auge. Erfunden soll es ein holländischer Brillenglasschleifer haben, namens Janssen im 16. Jahrhundert. Seit dem hat sich das Mikroskop ständig weiter entwickelt und bietet heute mit planapochromatischen Objektiven höchster Korrektur einen immer klarer werdenden Blick auf die immer älter werdenden Präparate. Das selbe Präparat präsentiert sich zudem ganz unterschiedlich, ob im Durchlicht, Dunkelfeld oder Auflicht, im polarisiertem Licht oder mit einem Lambda-Filter farblich aufgewertet.

Anders als das Mikroskop, dessen imposante Gestalt und sein für die Meisten seinerzeit unerschwinglicher Preis schon früh Bewunderung und Sammlerehrgeiz hervorgerufen haben, fristeten die zugehörigen mikroskopische Präparate ein eher unscheinbares Dasein in schwarzen Kästen und braunen Mappen.

Nur wenigen Salonpräparaten ist es vergönnt, ihr für Jahrhunderte ausgelegtes Dasein auf Samt gebettet in den Schubladen eines vornehmen Mahagoni-Schränkchens zu verbringen.

In einer langen Reihe von Präparatemappen sammeln sich die vielen, seit der Jugend selbst gefertigten und später für die Forschung und Lehre gesammelten Präparate. Aber erst mit dem Erwerb einer umfangreichen englischen Sammlung aus viktorianischer Zeit im zugehörigen Mahagoni-Schränkchen begann für mich das Stadium des aktiven Sammelns historischer Präparate.

In diesem Schränkchen befinden sich heute, bunt gemischt, die oben genannten „Salonpräparate“, zusammen mit den schönsten Präparaten aus der eigenen Arbeit, z.B. einer Schnittserie von über 100 Querschnitten durch eine Milbe auf einem einzigen Objektträger. Dazu afrikanische Parasiten, die jedes Semester ihren Einsatz in der Lehre finden. Auch jenes unscheinbare Präparat mit toten Filarienknoten, dessen Interpretation zu einer Revolution der Chemotherapie der Flußblindheit führte.

Das Ziel einer solchen Sammlung ist dem zu Folge vielfältig und kombiniert sowohl wissenschaftliches Interesse als auch die Freude am Schönem: Es geht zudem um den Erhalt einmaliger Dokumente wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens. Ganz besonders interessieren hier die Werke der Tübinger Mikroskopiker, wie z.B. die Präparate des schon oben genannte Anatomen Martin Heidenhain. Oder die der Tübinger Zoologen und Botaniker, an denen deren Beitrag zur Geschichte der Histologie, Protozoologie und mikroskopischen Präparationstechnik sichtbar wird.

In der Tübinger Mikroskopischen Gesellschaft hat sich eine Gruppe Gleichgesinnter gefunden, deren jährlichen Höhepunkt die Präsentation schöner Salon-Präparate unter historischen Mikroskopen in der Weihnachtszeit bildet.

Literatur zum Thema:

Bracegirdle, Brian: Microscopical mounts and mounters. Seacourt Press Limited.
Cowley, Oxford. ISBN 0-9514441-3-1. 1998, 224 S.

Rosenbauer, Karlheinz A.: Mikroskopische Präparate; Hersteller und Lieferanten.
Eine Zusammenstellung aus zwei Jahrhunderten. Band 1. GIT Verlag, Darmstadt, ISBN 3-928865-36-6, 2003, 180 S.

Rietschel, Peter: Erinnerungen an Martin Heidenhain. Mikrokosmos Bd 69, Heft 6, 1980, S. 198-199

www.tmg-tuebingen.de (Homepage der Tübinger Mikroskopischen Gesellschaft)

www.victorianmicroscopeslides.com (Präsentation viktorianischer mikroskopischer Präparate)

Alfons RENZ