1. Tübinger Kulturnacht 2007

1. Tübinger Kulturnacht am 12. Mai 2007: MikroSzene – Unter die Lupe genommen.

Naturwissenschaften und Künste gehören zusammen – schreibt Bildungsministerin Annette Schawan in der neuesten Ausgabe von politik & kultur anlässlich der Sonderbeilage: 100 Jahre Mikrokosmos. Und fordert: ‚Die Verbindungen zwischen Naturwissenschaften, Kunst und Kultur müssen wir noch deutlicher machen’.

Unsere Tübinger Mikroskopische Gesellschaft (TMG) hat diesen Aufruf sehr wörtlich genommen.

Unter dem vorgegebenen Veranstaltungsmotto ‚SzenenWechsel’ der Ersten Tübinger Kulturnacht haben wir die lokale MikroSzene unter die Lupe genommen. In einem bunt beleuchteten Pavillon im Stadtpark und im nahegelegenen Foyer des ehemaligen und derzeit leerstehenden Gesundheitsamtes konnten die kulturanimierten Besucher einen neugierigen Blick durch Lupen und Mikroskope werfen: Auf die MikroSzene der Kunstformen der Natur, wie sie Radiolarien, Foraminiferen und Diatomeen verkörpern, auf die Nanoszene der farbenprächtigen Kristalle. Oder unter der Stereolupe die vielgestaltigen Dauerformen von Schleimpilzen bewundern.

Michael Franke hatte frische Planktonproben aus dem benachbarten Anlagensee geschöpft, die von einer reichen und unendlich bildenden Welt erzählten, von Rüsselkrebschen und Rädertierchen, um eine Formulierung aus Raoul Francé´s  Buch Streifzüge im Wassertropfen aus dem Jahr 1907 aufzugreifen.

Schließlich gehörte auch die PathoSzene dazu, die gesundheitsgefährdenden Mikroorganismen, die Zecken, Läuse, Flöhe und Borrelien, passend zum genus loci des ehemaligen Gesundheitsamtes.

Einen ganzen MikroZoo lebender Pantoffeltierchen, Daphnien, Artemien und urtümlichen Triops-Krebschen präsentierte Harald Fischer, Vorsitzender vom Arbeitskreis Lebendfutter für Aquarianer.

Wer wollte, konnte unter der sachkundigen Anleitung von Klaus Herrmann Schnitte durch Pflanzenstängel anfertigen und auch gleich anfärben. Ein Angebot, das gerade von jüngeren Besuchern eifrig in Anspruch genommen wurde.

Eine ganze Parade unterschiedlichster Mikroskope waren im Einsatz: Das neueste Axioimager der Firma Zeiss, bedient von Ralf Seidenfaden, dem neuen Leiter des ZEISS-Democenters Stuttgart. Unterstützt hat ihn Klaus Janus. Zum Selbstmikroskopieren eine ganze Reihe TMG-eigener Durchlichtmikroskope. Oder preisgünstige Selbstbau-Mikroskope von Astromedia, die wir der Vermittlung von Klaus Dönnebrink verdanken. Dazu eigenwillige Konstruktionen von Horizontalmakroskopen mit brillanter LED-Beleuchtung, die den entzückten Betrachter/innen ein lautes Oh und Ah beim Anblick tanzender Wasserflöhe und riesiger Fliegenaugen entlockten.

Eine Sonderklasse für sich bildeten die in einem Video-Raum präsentierten Filme: Ein meditativer Einblick in die geheimnisvolle Welt mariner Protisten von Manfred, Christina und Nina Kage, die darüber hinaus ein ganzes Panoptikum mikroskopischer Projektionsmethoden und Bilder demonstrierten. Und ein reißerischer Wissenschaftskrimi zum Thema Schleimpilze – ‚Bei Regen erwachen die Monster, meisterhaft in Szene gesetzt vom bekannten Naturfilmer Karlheinz Baumann aus Gomaringen bei Tübingen. So wird Wissenschaft zum sinnlich und ästhetisch überzeugenden Erlebnis.

Wer dachte, organische Formen, Schönheit und Bewegung des Mikrokosmos seien im wesentlichen auf die belebte Welt der Pflanzen und Tiere und allenfalls auf die Kristalle der Mineralogie beschränkt, konnte sich eines Besseren belehren lassen, angesichts der farbenprächtigen und geradezu psychedelisch anmutenden Seifenblasenbilder von Rainer Mehnert. Was, so etwas sieht man im Mikroskop?

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Der Einsatz hat sich in jeder Hinsicht gelohnt. Von echt cool, faszinierend, beeindruckt bis zu wunderbare Veranstaltung – selbst für einen ausgekochten Mikroskopiker reichten die Kommentare der zahlreichen Besucher. Dies zeigt, wie sehr die eigene Beobachtung des Lebendigen auch heute fasziniert und einen Zugang zur Wissenschaft öffnet, der anderenorts durch immer höhere Hürden verbaut ist. Geradezu rührend, als nach Mitternacht zwei handfeste Jungs – dem Outfit nach aus der Heavy Metal Szene –, schüchtern nach unseren Glockentier-Modellen fragten und dann glücklich mit ihnen im Arm davon zogen, um ihren Garten damit zu zieren.

Und um zurückzukommen auf den eingangs erwähnten Aufruf unserer Bildungsministerin: Vor 100 Jahren hatte der schon oben zitierte Prof. Francé mit fast wortgleicher Formulierung für die Gründung der Deutschen Mikrologischen Gesellschaft geworben: Sorgen wir durch sie, dass auch in der deutschen Familie die große Vertiefung naturwissenschaftlicher Bildung eintrete, die durch das Verständnis des Zellenlebens unsere Fachwissenschaft so befruchtet hat. Dazu hatte er die Zeitschrift Mikrokosmos ins Leben gerufen, das offizielle Publikationsorgan der Mikroskopischen Gesellschaften in Deutschland und heute eine der ganz wenigen Fachzeitschriften, die ausschließlich in deutscher Sprache wissenschaftlich publizieren und mit gleichem Interesse von Schülern, Lehrern, Wissenschaftlern und interessierten Laien gelesen werden. Mikroskopie verbindet. Heute wie vor 100 Jahren. Um mit den historischen Worten Raoul Francé’s zu schließen: Und damit‚ Auf Wiedersehen im Mikrokosmos.’

    Alfons Renz, Tübinger Mikroskopische Gesellschaft e.V.